Situation ist nach wie vor unklar – Betroffenheit über die Untätigkeit des Westens

Katholiken im Irak Ein Mädchen betet während des   Gottesdienstes in  die Kirche "Mother of Sadness" am 15. September 2002  in Baghdad.  Nur 3% Prozent der Einwohner Iraks sind Katholiken. REUTERS/Damir Sagolj

Damaskus -Die Christen Syriens sind in größter Sorge über das Schicksal ihrer am 6. August in der Stadt Qaryatain entführten Glaubensgeschwister. P. Jihad Yousef, ein Angehöriger der syrisch-katholischen Gemeinschaft von Mar Musa, die auch in Qaryatain ein Kloster hat, berichtete, dass die Anzahl der nach der Eroberung der Stadt durch die IS-Terroristen entführten Christen unklar sei. In ersten Berichten sei die Zahl von 160 entführten Christen genannt worden, sagte der Mönch. Am Wochenende sei es rund 30 Christen gelungen, aus der von den IS-Terroristen besetzten Stadt zu fliehen.
Noch immer kein Lebenszeichen von Pater Mourad und seinen Diakon Boutros
Derzeit bemühten sich der syrisch-orthodoxe und der syrisch-katholische Bischof von Homs, über Mittelsmänner Kontakt zu den IS-Terroristen aufzunehmen. Es gebe aber keinerlei Anzeichen, ob die Terroristen wirklich verhandeln und die Geiseln freilassen wollen. Der syrisch-katholische Mönch verwies weiterhin im Gespräch mit dem „Kirche in Not“-Infodienst darauf, dass die IS-Terroristen den Christen normalerweise drei Optionen vorlegen: Bezahlung einer Sondersteuer für Christen, Konversion zum Islam oder Verlassen des Landes. Die letztgenannte Option sei offensichtlich nicht angeboten worden, denn dann hätten die Christen sofort von sich aus die Stadt verlassen.
P. Jihad Yousef sagte in dem Interview, dass es keinerlei Kontakt mehr zum St. Elias-Kloster seiner Gemeinschaft in der eroberten Stadt gebe: „Wir wissen nicht, ob die IS-Terroristen das Gebäude beschlagnahmt haben und was mit unseren Mitarbeitern geschehen ist“. Der Obere des St. Elias-Klosters, P. Jacques Mourad, war am 21. Mai – zusammen mit dem Diakon Boutros – von Dschihadisten entführt worden. „Leider haben wir absolut keine Informationen über die Situation von P. Jacques und dem Diakon Boutros. Wir haben alles versucht. Ich weiß nicht, wie sich die jüngsten Ereignisse in Qaryatain auf die Situation unserer Brüder auswirken werden. Vielleicht werden sie in eine Lösung für die Geiseln einbezogen“, betonte P. Jihad. Der Grund für die Entführung von P. Jacques Mourad sei offensichtlich sein erfolgreicher Einsatz für Dialog und Koexistenz von Christen und Muslimen gewesen. Im Kloster St. Elisabeth habe sich P. Mourad unablässig für die Opfer des syrischen Bürgerkriegs eingesetzt, „unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit“. P. Mourad sei es um Programme zur Renovierung zerstörter Wohnhäuser gegangen, aber auch um psychologische Unterstützung für Kriegsflüchtlinge.

Weltweiter Appell syrischer Kirchenführer, auf das Schicksal der entführten Christen aufmerksam zu machen

Der syrisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien, Ignatius Aphrem II., hat in einer öffentlichen Erklärung die „terroristischen Akte“ und die Entführungen in Qaryatain angeprangert. Er rief zum Gebet für die Freilassung der Entführten und Geiseln auf. In einer Erklärung des örtlich zuständigen syrisch-orthodoxen Erzbischofs von Homs und Hama, Silvanos Petros Al-Nemeh, wird die Zahl der in Qaryatain entführten Christen – „Männer, Frauen und Kinder“ – mit 250 angegeben. Seit dem Abend des 5. August gebe es keine Nachrichten mehr über diese Menschen, man wisse nicht, ob sie leben oder ermordet wurden, so der Erzbischof. Die Entführten hätten ihr ganzes Leben in Qaryatain verbracht, „wo sie ein stilles Leben auf der Basis von Nächstenliebe, Zusammenarbeit und Frieden führten“. Der Erzbischof appellierte an kirchliche und humanitäre Organisationen in aller Welt, durch Demonstrationen und Sit-ins auf das Schicksal der Christen von Qaryatain aufmerksam zu machen und ihre Freilassung zu fordern: „Sie sind schuldlose Menschen, die nichts mit den Vorgängen der letzten Jahre in Syrien zu tun haben“. Zunächst hatte es geheißen, die IS-Terroristen hätten die Christen wegen angeblicher „Kooperation mit dem Assad-Regime“ entführt. (…)

Scharfe Kritik von Ignatius Yousif III.: „Eine religiöse Säuberung ist im Gange“

Die IS-Terroristen hätten Komplizen in Qaryatain gehabt, weshalb man mit ihrer Ankunft schon länger gerechnet hatte, erklärte der syrisch-katholische Patriarch Ignatius Yousif III. Younan im Gespräch mit „Radio Vatikan“. Deshalb hätten nach der Entführung von P. Jacques Mourad viele christliche Familien die Stadt verlassen, nur rund 120 Familien seien in der Stadt verblieben. Da alle Christen und Muslime Syriens zur selben Ethnie gehören, müsse man bei den aktuellen Vorgängen nicht von einer ethnischen, sondern von einer „religiösen Säuberung“ sprechen, erklärte der Patriarch. Die sonst auf Menschenrechte bedachten Regierungen des Westens würden sich zynisch verhalten, zumal sie vor dieser Tatsache die Augen verschließen: „Ihnen ist die Religionsfreiheit dieser Gemeinschaften, die über Hunderte von Jahren durch ihre Treue zum Evangelium dort durchgehalten haben, ziemlich egal“. Im Vordergrund stünden allein wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Der Patriarch brachte es auf den Punkt: „Die denken so: Wenn die Leute es schaffen, dort zu bleiben, na gut; und wenn nicht, dann sollen sie doch über das Meer kommen!“

 „Was mit Christen und Andersdenkenden im Nahen Osten unter dem IS-Terror passiert, scheint die westliche Welt abgestumpft zu haben“

Der Bundesverband der Aramäer in Deutschland hat am 11. August neuerlich zu den dramatischen Vorgängen in Qaryatain Stellung genommen. Nach den Informationen des Bundesverbands werden insgesamt 270 Christen unterschiedlicher Konfession vermisst. Etwa zwei Dutzend Entführte, darunter eine schwangere Frau und mehrere Diabetespatienten würden dringend medizinische Hilfe benötigen. Der Vorsitzende des Bundesverbandes, Daniyel Demir, stellte wörtlich fest:  Seit Tagen befinden sich viele ältere Menschen, Kinder und Frauen in der Hand der Dschihadistenmiliz. Noch sind sie am Leben, doch die Sorge aufgrund der unmenschlichen Vorgehensweise der IS-Terroristen ist sehr groß. Wir erinnern uns an die schrecklichen Massaker an der aramäischen Bevölkerung im 30 Kilometer entfernten Sadad im Oktober 2013 mit mehr als 50 Toten“.

„Jeder Tag kann entscheidend sein“

Demir forderte die internationale Staatengemeinschaft auf, sich mit aller Entschlossenheit für die Entführten einzusetzen: „Was mit Christen und Andersgläubigen bzw. Andersdenkenden derzeit im Nahen Osten unter der IS-Terrorherrschaft geschieht, scheint auch die westliche Welt abgestumpft zu haben. Wir appellieren an die europäischen Bundesregierungen, sich für die sofortige Freilassung dieser unbeteiligten Zivilisten einzusetzen. Jeder Tag kann entscheidend sein“. (poi/csi)