Laut Christenverfolgungsindex 2017 von Open Doors rangiert Afghanistan in der Weltrangliste an 2. Stelle (gleich hinter Nordkorea).

Die meisten Christen sind ehemalige Muslime. Es gibt aber auch eine verschwindend kleine katholische und lutherische Minderheit, die sich noch im Land befindet. Ihre genaue Gesamtzahl ist nicht bekannt, da es sich um Geheimchristen handelt. Schätzungsweise geht man von 6.000 bis rund 30.000 aus.

Der Druck auf Christen hat sich in letzter Zeit leicht verstärkt

Der allgemeine Druck auf Christen ist auf einem extrem hohen Niveau. Das Christentum wird als eine westliche Religion angesehen und somit als nicht zu Afghanistan gehörig. Es kommt hinzu, dass ein generelles Misstrauen gegenüber Christen vorherrscht. Dies wurde in zehn Jahren Militärkontrolle durch internationale Streitkräfte verstärkt. Viele afghanische Christen konvertierten, während sie in Drittländern lebten. Sie üben ihren Glauben allein oder in kleinen Gruppen in Privatwohnungen aus. Laut christlichen Missionarsorganisationen gibt es überall im Land kleine Hauskirchen im Untergrund, von denen jede nicht mehr als zehn Mitglieder hat. Trotz des in der Verfassung verankerten Versprechens von Religionstoleranz (s. weiter unten, Anm.) sind Christen de facto, die ihre Religion offen ausleben, oder Muslime, die zum Christentum konvertieren, extrem exponiert und müssen oft sogar um ihr Leben fürchten.

Islamische Unterdrückung geht vor allem von Familien, Freunden und dem Lebensumfeld, aber auch von örtlichen religiösen Leitern aus. Die staatlichen Behörden sind schwach und der Islam ist ein willkommener verbindender Faktor – zumal die Gesellschaft sich darüber einig ist, dass eine Abkehr vom Islam nicht toleriert werden kann (ein eklatanter Widerspruch zum vorhin erwähnten Verfassungstext, Anm.).

Das Maß an Gewalt gegen Christen ist nach wie vor unverändert hoch. Mehrere ehemalige Muslime wurden getötet, nachdem ihre Bekehrung zum Christentum von der (entfernteren) Verwandtschaft entdeckt worden war. Wenn man Glück hat, kommt man mit dem Leben davon. Doch dann wird einem Konvertierten meist sein Besitz zerstört oder ihm weggenommen. Es gibt viele Familien, die ihre christlichen Verwandten sogar in psychiatrische Krankenhäuser einweisen lassen, da sie der Meinung sind, man verlässt den Islam nicht, wenn man einen gesunden Hausverstand hat.

Der Abfall vom Islam ist für die Familie des Konvertierten eine große Schande.

Die Islamische Republik Afghanistan erlaubt keine Hinwendung zum christlichen Glauben. Der Abfall vom Islam ist für Familie und Gemeinschaft eine große Schande. Deshalb verbergen Christen muslimischer Herkunft ihren neuen Glauben so gut wie möglich.

Noch immer beherrschen die Taliban Teile des Landes; ihr beachtlicher Einfluss wird durch viele Angriffe und Kämpfe gegen Regierungstruppen deutlich, die in mehreren Provinzen um Macht ringen. Die neue Führung der Taliban ist noch stärker geneigt, fundamentalistisch-religiöse Ansichten zu vertreten und ihre Aktionen zu verstärken, um ihre Herrschaft auszuweiten. Das führt zu einer steigenden Zahl von Todesopfern und Flüchtlingen (laut UN wurden von Januar bis September 2016 8.397 Zivilisten getötet oder verletzt und 382.371 vertrieben, Anm.).

Alle afghanischen Christen sind ehemalige Muslime. Werden sie entdeckt, erleiden sie Diskriminierungen und Feindseligkeiten bis hin zur Tötung durch Familie, Freunde und Gesellschaft. Geistliche muslimische Leiter sind dabei oft die Anstifter und auch örtliche Behörden sind nicht selten involviert. Wer den Islam verlässt und entsprechend als Abtrünniger angesehen wird, befindet sich in einer extrem gefährlichen Situation.

Oft verheimlichen Eltern ihren Kindern den Glauben

Sowohl die Regierung als auch der durchschnittliche Afghane meinen, kein Afghane könne Christ sein und es sei ungesetzlich, einen anderen als den muslimischen Glauben zu haben. Deshalb müssen ehemalige Muslime sehr vorsichtig sein. Oft verheimlichen Eltern ihren Kindern den Glauben. Weil sie nie wissen können, welche Familienmitglieder vom IS oder der Taliban rekrutiert wurden, können sie ihren Glauben nur für sich privat ausleben. Daher ist für sie absolute Vorsicht geboten, wem sie in Bezug auf ihren Glauben vertrauen können. Gesellschaftliche Kontrolle ist sehr präsent, sodass es sehr schwierig ist, seinen neuen Glauben langfristig zu verheimlichen. Das gilt besonders für Familien mit Kindern. Zudem befinden sich ehemalige Muslime in einer Zwickmühle, weil sie ihre Kinder nicht auf eine Madrassa schicken wollen, sie ihnen aber auch nichts von ihrem neuen Glauben erzählen können, da es zu gefährlich ist. Der Islam ist die einzige im Land geltende Religion. Ein Treffen mit anderen Christen kann daher nur unter extremen Vorsichtsmaßnahmen stattfinden.

Kein unbeschwertes Leben für Kinder christlicher Eltern

Man kann sich nur mit islamischer Religionszugehörigkeit registrieren lassen. Jeder Bürger wird also als Muslim registriert. Es ist nicht möglich, eine Konversion eintragen zu lassen. Eine Taufe ist eine Straftat, für die die Todesstrafe droht. Deshalb finden Taufen heimlich statt. Da die meisten Christen ihren Glauben geheim halten, werden sie demnach auch nach islamischem Ritus beerdigt. Wenn herauskommt, dass eine Familie sich zum Christentum bekehrt hat, werden ihre Kinder zur Adoption in eine muslimische Familie gegeben. Dann droht ihnen ein Leben voller Übergriffe vonseiten der neuen Familie und der Schule. Wenn es eine Familie schafft, ihren Glauben geheim zu halten, müssen die Kinder dennoch eine Madrassa besuchen. Wenn sie den Glauben ihrer Eltern kennen, kann dies zu Verwirrung und Loyalitätskonflikten führen. Kommt der neue Glaube ans Licht, wird der Ehepartner sehr wahrscheinlich gezwungen, die Scheidung einzureichen. Er verliert das Sorgerecht an den muslimischen Ehepartner und alle Erbschaftsansprüche.

Das soziale Umfeld übt erheblichen Druck aus

Jeder enttarnte Christ verliert den Zugang zu Gemeinschaftsmitteln und Gesundheitsfürsorge. Alle Menschen stehen unter dem Druck, die Moschee zu besuchen, sodass ein ehemaliger Muslim nicht einfach fernbleiben kann, ohne Verdacht zu erregen. Das soziale Umfeld übt erheblichen Druck aus. Um Loyalität und Ordnung sicherzustellen wird jeder beobachtet. Vermutet man bei jemandem ein Abweichen, wird er dazu gebracht, wieder auf den rechten Weg der religiösen und politischen Gesinnung zurückzukehren – sei es durch körperliche Folter oder zum Teil auch mithilfe okkulter Praktiken, da viele Afghanen abergläubisch sind. Ehemalige Muslime haben zudem Angst, ihre Kinder zur Schule zu schicken, weil sie sie vor falscher Indoktrinierung schützen wollen und sie befürchten, ein Kind könnte sie verraten. Das führt zu einer Vielzahl von Komplikationen. Im Fall einer Entdeckung werden Christen auf jeden Fall zur weiteren Untersuchung und Befragung mitgenommen. Diese Verhöre sind intensiv, ungeachtet dessen, ob sie es mit der Regierung, der Taliban oder dem IS zu tun haben.

Ausblick

Die größten Herausforderungen für Afghanistan in den kommenden Jahren:

  • Die katastrophale Sicherheitslage;
  • Der große Zustrom von Flüchtlingen, die aus Pakistan und dem Iran zurückgeschickt werden;
  • Die steigende Opiumproduktion, durch die sich militante Gruppen finanzieren und Korruption gefördert wird. Das führt zu einer Verstärkung des organisierten Verbrechens, was sich wiederum negativ auf die tief verborgenen kleinen christlichen Gemeinschaften auswirkt.

Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung

Die Verfassung von 2004 erklärt Afghanistan zu einer islamischen Republik und legt fest, dass der Präsident und der Vizepräsident des Landes Muslime sein müssen. Artikel 2 sieht vor, dass nichtmuslimische Gläubige ihre Religion im Rahmen der geltenden Gesetze frei ausüben dürfen. Artikel 3 legt fest, dass „alle Gesetze in Übereinstimmung stehen müssen“ mit den Prinzipien und Vorschriften der islamischen Religion – wodurch die Scharia, obwohl sie nicht ausdrücklich genannt wird, zur Hauptquelle der Gesetzgebung wird. De facto schränkt eine Reihe von Regierungspraktiken und Gesetzen die Religionsfreiheit massiv ein.

Zum Christentum konvertierte Muslime werden strafrechtlich verfolgt

Die Gerichte des Landes legen das islamische Recht so aus, dass Übertritte von Muslimen zu einer anderen Religion strafrechtlich verfolgt werden. Laut einer anderen Auslegung gilt z.B. das Bahaitum (vor allem im Iran beheimatet, Anm.) als Blasphemie und seine Anhänger werden als Ungläubige betrachtet. Die Blasphemie, unter die antiislamische Schriften und Reden fallen können, ist gemäss der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte ein Kapitalverbrechen, auf das die Todesstrafe steht, wenn der Gotteslästerer nicht innerhalb von drei Tagen abschwört. Laut dem Bericht des US-Aussenministeriums zur Religionsfreiheit weltweit werden Angriffe auf und Morde von Mitgliedern religiöser Minderheiten durch die Taliban nicht angezeigt.

Es gibt keine „Kleinen Schwestern“ mehr im ganzen Land

Islamischer Religionsunterricht muss sowohl an öffentlichen Schulen als auch in privaten Bildungseinrichtungen erfolgen. Andere Formen von Religionsunterricht sind nicht vorgesehen. Es gibt, vereinzelt, Kultstätten für einige Sikhs, Hindus und Juden. Doch es gibt keine öffentlichen Kirchen im ganzen Land.  Das einzige offizielle katholische Gotteshaus ist eine kleine Kapelle, die sich im geschützten Gelände der italienischen Botschaft befindet. Aus historischen Gründen wird sie toleriert und die kleine Gemeinde von einem Pater betreut. Doch die Christen werden immer weniger. Aus Mangel an neuen Berufungen hat Anfang 2017 sogar die Ordensgemeinschaft der „Kleinen Schwestern“ nach 60 Jahren Kabul verlassen.

(Quellen:  CSI-Österreich, Open Doors, Kirche in Not, Human Rights Report, minorityrights.org)

 (Stand: Herbst 2017)